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Veranstaltungsbericht: Grüner Wasserstoff und Wasserstoffträger: Elemente einer nachhaltigen und sicheren Energieversorgung

MEW diskutierte auf der Veranstaltung „Talking Energy“ Ende September 2022 in Berlin Wege zu einer sicheren und nachhaltigen Energieversorgung

Die Auswertung verschiedener Studien durch das Wuppertal Institut zeigt: Das Erreichen der energie- und klimapolitischen Ziele (Treibhausgasneutralität bis 2045) erfordert in allen Bereichen sehr große Anstrengungen und ist kein Selbstläufer. Aufgrund der hohen Dynamik im System müssen die Analysen stetig nachgeschärft und mit der realen Entwicklung abgeglichen werden.

Bei der zweiten Ausgabe der neuen Veranstaltungsreihe „Talking Energy“ drehte sich am 26. September 2022 alles darum, wie eine sichere und nachhaltige Energieversorgung in Deutschland aufgebaut werden könnte. Der MEW hatte eine Metastudie zu diesem Thema beim Wuppertal Institut in Auftrag gegeben, die vier namhafte aktuelle Szenariostudien unter dieser Fragestellung untersuchte.

Die Vorstandsvorsitzende des MEW, Dr. Uta Weiß empfing die 45 Gäste und umriss die derzeitigen immensen sowohl längerfristigen als auch kriegsbedingten aktuellen Herausforderungen der Energieversorgung mit denen wir konfrontiert sind.

Nachdem Dr. Hans Wenck, Geschäftsführer des MEW, in die Studie eingeführt hatte, gab Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, einen Überblick über den internationalen klimapolitischen Kontext und die zwingende Notwendigkeit, zur Begrenzung des Klimawandels den Einsatz fossiler Energieträger auf globaler Ebene drastisch zu verringern. Um das in der Pariser Klimaschutzvereinbarung von mehr als 190 Staaten anvisierte 1,5-Grad-Ziel noch erreichen zu können, ist ein Rückgang der Treibhausgasemissionen bis 2030 um rund 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2010 und bis 2050 Treibhausgasneutralität erforderlich. Für die Begrenzung der Erhöhung der Weltmitteltemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveau auf zwei Grad Celsius ist die Nulllinie spätestens 2070 zu erreichen.

Frank Merten, Co-Leiter des Forschungsbereichs Systeme und Infrastrukturen, stellte die Ergebnisse der Studie vor. Der Analyse lagen verschiedene Leitfragen zugrunde: Könnte Deutschland langfristig (bis 2045) ausreichend erneuerbaren Strom produzieren, um den eigenen direkten Strombedarf sowie den Strombedarf zur Produktion von Wasserstoff zu decken? Auf welche Importe erneuerbarer Energien (Strom, Wasserstoff und/oder synthetische Energieträger) wird Deutschland angewiesen sein? Welche Länder in oder außerhalb von Europa kommen als Lieferanten infrage? In welcher Form können die aus erneuerbaren Energien abgeleiteten Energieträger am effizientesten nach Deutschland und dann zu den Verbrauchern transportiert werden?

„Die analysierten Studien weisen viele Gemeinsamkeiten auf“, sagte Merten und ergänzte: „Sie zeigen deutlich die Handlungserfordernisse auf: ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien, die Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz, eine stärkere Elektrifizierung des Energiesystems sowie ein Einstieg in eine substanzielle Wasserstoffwirtschaft. Die betrachteten Studien wurden vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs und größtenteils auch vor dem Beginn der Energiepreissteigerungen erstellt. Bei ihrer Weiterentwicklung muss besonders darauf geachtet werden, dass Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit der Energieversorgung gut ausbalanciert werden. Der Aufbau diversifizierter Wasserstoffimportstrukturen bietet dafür gute Chancen.“

Im Anschluss kommentierte Till Mansmann, Innovationsbeauftragter „Grüner Wasserstoff“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Ergebnisse der Studie und die derzeitige Energiepolitik Deutschlands. Er mahnte, sich endlich von der rein nationalen oder europäischen Betrachtung zu lösen: „Wir stehen vor einer Menschheitsaufgabe und diese muss global bewältigt werden. Europa muss in diesem Kontext auch andere Player berücksichtigen.“

In der Diskussion mit dem Publikum wurden die Grundlinien der politischen Seiten deutlich. Das Ziel blieb unbestritten: Wir müssen die Energieversorgung defossilisieren. Der Weg dahin ist allerdings strittig. Er spannt sich zwischen einer eher dirigistischen Herangehensweise mit engen politischen Vorgaben etwa durch die Vorgabe der zu verwendenden Technologie, die für am effizientesten erachtet wird, bis hin zum liberalen Ansatz, der es der Wirtschaft überlässt, den besten Weg zum Ziel zu finden. So unterstrich Merten aus wissenschaftlicher Sicht die Notwendigkeit, die Anpassungen mit einem systemischen Blick zu betrachten und beispielsweise mögliche Flexibilitäten bei den Strom- und Energienachfragern breit zu nutzen. Hinsichtlich der politischen Vorgaben sagte der Studienautor: „Die Szenariostudien ermöglichen eine Betrachtung der vielschichtigen Wechselwirkungen im System und die Ableitung wichtiger Orientierungsgrößen. Wasserstoff wird noch lange ein knappes Gut sein. Hier ist es wichtig, dass wir diesen aufgrund der fehlenden Alternativen für die Defossilisierung zunächst primär der Industrie zukommen lassen, um ihre Reduktionsziele zu erreichen.“ Der Beauftragte für grünen Wasserstoff gab zu bedenken, dass Zwang und staatlich verordneter Verzicht zu Straßenkämpfen führen können.

In der Diskussion wurden neben der aktuellen Lage bei der akuten Versorgung mit Gas auch die Einzelheiten der aktuellen Gesetzgebungsverfahren betrachtet wie die Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die Quotenanrechnung und die CO2-Bepreisung. Klar ist, dass die Energiewende eine komplexe Aufgabe mit einer dezidierten Handlungsaufforderung an die politischen Akteure bleibt.

MEW-Geschäftsführer Dr. Wenck fasste zusammen: „Die Ergebnisse der Metastudie zeigen, dass hier, obwohl teilweise kaum ein Jahr alt, die Studien bereits von den aktuellen Entwicklungen überholt wurden. So müssten einige Grundannahmen angepasst, die Geschwindigkeit des Wandels deutlich erhöht und auch der Sicherheit der Energieversorgung stärkeres Gewicht beispielsweise durch eine stärkere internationale Ausrichtung beigemessen werden. Auf die Leitfragen, die die Basis der Studie bildeten, geben die untersuchten Szenarien daher nicht die umfassenden Antworten. Vielmehr müssen angesichts der aktuellen Entwicklungen die langfristig günstigsten und ausgewogenen Ansätze zeitnah von der Politik definiert und ein regulativer Rahmen für langfristige Investitionssicherheit geschaffen werden, um die ehrgeizigen Ziele in der Klimapolitik zu erreichen.“

Ansprechpartnerin
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Kathleen Kollewe
Managerin Energiepolitik und Kommunikation
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